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Rezension: Extrem Bayrisch- Roger Fritz und Ottfried Fischer

Dieses Buch hat Roger Fritz, einer der renommiertesten deutschen Fotografen- er war Mitbegründer der Zeitschrift Twen - und der Kabarettist Ottfried Fischer auf den Weg gebracht. Bevor ich das Buch zu lesen begann, habe ich mich zunächst, etwas amüsiert, mit den vielen gelungenen Fotos befasst und hier u.a. die Gesäße von barocken Dirndlträgerinnen, die auf einer Festzeltbank sitzen, beäugt, Bier trinkende Lederhosenträger, typische Jodler und Transis im Dirndl, als auch nackte bayrische Männer im Englischen Garten bewundert und dralle, fast nackte Nebenerwerbsballerinen im Bayernnachtclub in München in Augenschein genommen.

Bilder von Altötting ließen mich inne halten, weil ich hier im Rahmen des begleitenden Textes auf ein paar Zeilen von Ottfried Fischer stieß, die ich sofort gelesen habe. Er schreibt ketzerisch: "Bayerns Mekka heißt Altötting. Dort befindet sich die Gnaden-Kaaba, um die herum, nach der Unbill der Gnaden-Fußwallfahrt, insbrünstig betend die Sünder, Büßer und Gelobenden immer noch schwere Gnadenkreuze schleppen, um sich dann, nach Anbringung eines Ex-Voto-Gnaden-Bildchens in der Marianischen Gnaden-Behausung wegen Auffrischung der Weihwasserbestände im Gnaden-Shopping des Devotionalien-Overkill zu verlieren, behutsam überwacht, dank der Gnade des Herrn, jetzt wohl schuldenfreien Gnaden-Hotelfachschule mit gnädig angegliederter Gnaden-Gastronomie für Verehrer der gnadenreichen Jungfrau."( Zitat: Fischer, S. 73).


Zurück zu den Bildern: Den Impressionen der Bayrischen Passionsfestspielen folgen einige Seiten später Porträtaufnahmen typischer Grantler, auf die ich später noch zu sprechen komme. Des Weiteren sieht man Männer beim "Watschntanz" und Männer bei Festzügen mit medaillenbehängter Brust. Interessant auch ist das Erst-Mai-Treiben von bayrischen Männern, das Kraftmessen beim Fingerhakeln, Boahakeln, Strängkatznziagn, Holzhacken, Steinheben, Tabak -Schnupfen, beim Schießen und schließlich beim Reiten auf Kühen. Schaue ich mir diese Fotos an, wird mir klar, dass der bayrische Mann etwas besonderes ist, der bayerische Frauen ganz offensichtlich veranlasst, mehrfach im Jahr nach Altötting zu pilgern, um dort für sein mentales Wohl zu beten.


Fischer thematisiert das bayerisch-anarchische Potential und die Vorliebe der Bayern für Bier, das untrennbar zu Bayern gehört. Die Maßmesstechnik kommt zur Sprache und auch das Oktoberfest, das die Großverkaufstelle für Bier und Hendl darstellt. Die Aufnahmen vom Oktoberfest finde ich hervorragend, speziell jene, die sich mit dem "Abschleppen" befassen. Das bayrische Abschlepp-Theorem heißt übrigens:" A bissl was geht immer".


Der Katholizismus in Bayern wird nicht ausgespart. Fischer hält fest, dass Wallfahrten, Passionsspiel, Bittgänge und Prozessionen zumeist die Folge eines in grauer Vorzeit gemachten Gelübdes ist. Die Oberammergauer Passionsfestspiele sind ein Ergebnis der Pestzeit. Spitzzüngig erläutert der Kabarettist "Seitdem lässt sich, begleitet von einer ständigen Antisemitismus- und Modernisierungs-Diskussion ein ganzes Dorf jahrelang Haare wachsen, um so auszusehen, wie Menschen zum Zeitpunkt der Kreuzigung ausgesehen haben mögen. Das führt dazu, dass man ständig Ausschau hält, wo sich denn nun die Hippiekommune befindet, bei gleichzeitiger Verwunderung darüber, dass einem da überhaupt kein Dope angedient wird."( Zitat Fischer: S. 73).


Alsdann erfährt man, dass das Grantig sein für einen Bayern ein vollkommen korrektes Verhalten ist, das mit seinem Gegenüber zunächst gar nicht zu schaffen hat. Die griesgrämige Miene des Grantlers will uns Nichtbayern begreifbar machen, dass er denkt: "I wui mei Ruah". Gut zu wissen.


Über das Brauchtum, zu dem auch die Schützenvereine beitragen, liest man Spannendes. Archaisch erscheint mir allerdings das Fingerhakeln. Fischer kommentiert präzise: Fingerhakeln sei eine fast schon visionär zu nennende digitalisierte (digtus lat. Finger) Version einer Bewältigung der Frage, wer im Augenblick der Stärkere sei, (vgl. S. 129).


Über das Floßfahren in Bayern wird man aufgeklärt, das eine Art Miniaturvolksfest ist und auch über das Tabak-Schnupfen, das ich nicht verstehen muss. In Münsing am Starnberger See gibt es ein Ochsenrennen, das mir endgültig zeigt, dass bayrische Männer eindeutig spanisches Blut besitzen und wirklich anders ticken als die Preußen.


Die Frauen in Bayern haben sich gewiss an die vielen Männerrituale gewöhnt und werden sich sicher nicht mehr wundern, weshalb ihre Männer in ihrer Freizeit lieber "Fingerhakeln" als auf der Maximilianstraße shoppen zu gehen. Jeder macht das, was er kann. :-))


Ein witziges Buch, mit wunderschönen Fotos.
Das rezensierte Produkt ist überall im Handel erhältlich.

1 Kommentar:

  1. Das Tabakschnupfen ist offenbar eine Sache, die wirklich fast nur Bayern verstehen, wenn man von Helmut Schmidt absieht, der nie ohne seine Gletscherprise das Haus zu verlassen scheint. Hardcore-Bayern bedienen sich für die Aufnahme von Schnupftabak gerne auch einer kleinen Maschine, welche die Ladung unmittelbar ins Gehirn befördert. :-) [url]https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_i_0_15?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=search-alias%3Daps&field-keywords=schnupfmaschine&sprefix=schnupfmaschine[/url]
    So. Und jetzt nehm ich erst mal noch ein Prischen, ohne Schnupfmaschine, einfach so ... :-)

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